„Diese Reise würden wir sofort noch einmal antreten!“ war der einhellige Tenor der Kirch-Gönser Reisegruppe, die von einer nicht alltäglichen Oster-Tournee wohlbehalten in die Heimat zurückkehrte. Unvergessliche Stationen warn Klaipeda (Memel) und Kurische Nehrung in Litauen, Riga, die Hauptstadt Lettlands, ehemals Ostpreußen (Masuren) und Danzig. Land und Leute kennenlerne, Freude mit Musik übermitteln, dies war der Grundgedanke einer 8tägigen Unternehmung, die bei allen Teilnehmern bleibende Eindrücke hinterlassen hat. Freundschaften wurden geschlossen, Einladungen ausgesprochen. Nach dem Besuch der Insel Rügen mit Stubbenkammer und Kaiserstuhl trat man die Reise mit der Kombifähre „Greifswald“ (Länge 190 m, Breite 28) ab dem Hafen Mukran, Richtung Klaipeda (Memel) an. 18 Stunden ruhige Seefahrt, 500 Kilometer auf der Ostsee, der kürzesten und schönsten Verbindung zwischen Deutschland und dem Baltikum bedeutete eine reizvolle Reise für alle Teilnehmer. Ein stimmungsvoller Abend auf See mit dem Kapitän und einem Teil der Mannschaft bildete den Höhepunkt der Seereise, die im Hafen von Klaipeda (Memel) endete. Klaipeda (Memel) ist die drittgrößte Stadt Litauens mit etwa 200.000 Einwohner. Sie ist eine der größten Hafenstädte des Baltikums, erstreckt sich am Kurischen Haff entlang, und liegt an beiden Seiten des Flusses Dange. Klaipedas wurde 1252 gegründet. Der Livländische Ordensritter Eberhard von Stein lässt an der Mündung der Dange eine Holzburg errichten und die später den Namen „Memelburg“ und „Memel“ bekam, da man annahm, bei den Kursichen Haff handele es sich um die Mündung der Memel. Klaipeda hat eine sehr wechselvolle Geschichte. 1939 fielen die Stadt und das Memelland durch das geheime Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes an Deutschland. 1945 zog die Rote Armee nach heftigen Kämpfen in Klaipeda ein. Ganz Lituauen wurde von der Sowejtunion annektiert. Am 13. Januar 1991 stimmten 79,39% der litauischen Bevölkerung für Unabhängigkeit. Litauen, Lettland und Estland wurden wieder in die UNO aufgenommen. Eine Besichtigung der historischen Altstadt mit der Symbolfigur des alten Klaipeda, dem „Ännchen von Tharau“, auf dem neu gestalteten Theaterplatz, schloss sich an. 1989 wurde auf dem restaurierten Simon-Dach-Brunnen auf deutsche Initiative ein Nachbild des „angenehmen Mädchens“ gegossen, das in den Kriegswirren verlorengegangen war. Der Memeler Dichter Simon Dach (1605 – 1659) hat das bekannte Volkslied aus Anlass der Hochzeit der Pfarrerstochter von Tharau (jetzt Wladimirow im Kalingrader Gebiet) Anna Neander gedichtet. Ein zweistündiges Konzert im Saal der „Klaipedos Fillhalmonija“ unter der musikalischen Leitung von Karlheinz Velten, Friedberg, wird den Kirch-Gönser Musikern in bester Erinnerung bleiben, denn man konnte den Lohn für die intensive Trainingsarbeit in der Heimat durch den begeisterten Beifall der zahlreichen Besucher in Empfang nehmen. Vorsitzender Hanspeter Tiedemann führte durch das Programm, der stellvertretende Vorsitzende und Stadtrat Helmut Rühl überbrachte die Grüße des Magistrats der Stadt Butzbach in der Hoffnung, eine litauische Gruppe in der „Perle der Wetterau“ begrüßen zu können. Die Kurische Nehrung (Neringa), eine 100 Km lange, 3 bis 5 Km breite Landzunge zwischen Litauen und Rußland (Kalingrad/Königsberg), davon 50 Km auf litauischer Seite, mit dem bekannten Orten Nida (Nidden) und Joudkrante (Schwarzort) war das Ziel des folgenden Tages. Die bis zu 60 Meter hohen Wanderdünen und das Thomas-Mann-Haus, mit einer kleinen Ausstellung über das Leben von Thomas Mann, der hier von 1930 – 1932 seine Sommerferien verbrachte, waren die markantesten Punkte der heute unter Naturschutz stehenden Landzunge. Am Abend fand ein „deutscher Abend“ mit dem Verein der Deutschen in Klaipeda statt. Nach einer musikalischen Reise durch Deutschland, dargeboten durch den Kirch-Gönser Musikzug, verbrachte man bei Kaffee und Kuchen noch einige gemütliche Stunden gemeinsam. Beeindruckend für alle war die herzliche Aufnahme durch den Deutschen Verein. Die Kirch-Gönser kam nicht mit leeren Händen, sondern hatten in der Heimat zu Spenden aufgerufen. Die
Vorsitzende des Deutschen Vereins, Magdalena Piklaps, dankte mit folgendem Schreiben den Kirch-Gönsern „Wir haben uns sehr an Ihrem Konzert gefreut. Unsere Leute waren begeistert. Es war ein wunderschönes Ostergeschenk. Ihre Geschenke wurden von den Kindern nach der Osterversammlung verteilt und hat ihnen sehr viel Freude bereitet. Ich hoffe, dass die schöne Freundschaft, die geschlossen wurde, auch weiter gedeihen wird. Mögen ihre Herzen nie müde werden und auch weiter Freude und Wärme den Menschen verteilen“. Riga, die Hauptstadt Lettlands, und heimische Hauptstadt des gesamten Baltikums, mit ca. 900.000 Einwohnern, war nächstes Ziel der Kirch-Gönser Gruppe. Vom 123 m hohen Turm der Petrilkirche, dem markantesten Bauwerk in der Skyline von Riga, hatte man einen wunderbaren Blick über die Altstadt und den Hafen. Der Dom St. Marien, mit einer der größten Orgeln der Welt (6168 Pfeifen), das Schloß des livländischen Ordnens, Mentzendorffhaus (ein ehemaliges Patrizierhaus aus dem 17. und 18. Jahrhundert), Freiheitsdenkmal, Schwedentor und die Altstadt mit ihren wunderbaren Jugendstilimpressionen waren weitere Sehenswürdigkeiten, die durch eine lettische Fremdenführerin ausgiebig erläutert wurden. Im Rigaer Dom traf man auf den Ministerpräsidenten von Lettland, der eine Bildausstellung über Kirchen in Lettland eröffnete. Am Freitag wurde Klaipeda in Richtung Kaunas verlassen. Zwischenstation war der „Berg der Kreuze“, einst von Menschenhand geschaffen. Er ist berühmter Wallfahrtsort in Litauen und wurde am 4. September 1993 von Pabst Johannes Paul II aufgesucht. Es ist ein einzigartiges Monument. Tausende von Kreuzen, die aus allen Teilen des Landes zusammengetragen und aufgestellt wurden, zieren seinen Gipfel. In Radviliski zwischen Siauliai und Panevezys wurde ein Berufsbildungswerk für lernbehinderte Jugendliche, das durch das Berufsbildungswerk Südhessen in Karben unterstützt wird, besichtigt. Bei einer Führung durch die Werkstätten konnte man sich vom Erfolg deutscher Unterstützung in Litauen überzeugen. Nach überschreiten der litauischen Grenze bei Ogrodniki traf die Reisegruppe im Nordosten Polens, in der Nähe der Stadt Lyck (Elck), dem Hauptort Masurens, ein. In Begleitung einer polnischen Reiseleitung führe die Reiseroute an folgenden Tag entlang der Masurischen Seenplatte über die Bischofsstadt Olsztyn (Allenstein), Ostroda (Osterode), Nikolajki (Nikolaiken) dem masurischen Vendedig“, Elbag (Elbing), Malbork (Marienburg) Richtung Gdansk (Danzig). Störche, eine Seltenheit in Deutschland konnten in großer Zahl entlang der Masurischen Seenplatte beobachtet werden. Eine Besichtigung Danzigs, der Seehauptstadt Polens, eine Stadt mit tausendjähriger Geschichte, die in den Kriegswirren zu 90% zerstört wurde, mit wunderschönen wiederaufgebauten Bürgerhäusern im Renaissancestil und gotischen Kirchen, Rathaus, Neptunbrunnen, goldenes Haus, langer Markt, grünes Tor und Heilig-Geist-Gasse schloss den Tag ab. Über Stettin und Berlin führte die Reise zurück nach Kirch-Göns. Durch persönliche Kontakte und Gespräche in Klaipeda konnten sich alle Reiseteilnehmer einen Eindruck über die zurzeit herrschende Armut in Litauen verschaffen. Die Zukunftsperspektiven sind zurzeit sehr schlecht. Dies zeigt eine steigende Selbstmordrate, besonders in ländlichem Gebiet, deutlich auf. Auch die politische Zukunft bereitet vielen Litauern zunehmend Sorgen. Verstärkte Hilfe von außen ist unbedingt erforderlich. Auch die Kirch-Gönser Musiker haben demnächst einen Hilfstransport nach Klaipeda ins Auge gefasst. Hierzu möchten sie zur gegebenen Zeit die Kirch-Gönser Bevölkerung zu Spenden aufrufen. Hanspeter Tiedemann dankte Helmut Rühl für die vorbildliche Organisation, Karlheinz Velten für die musikalische Leitung, dem Reiseunternehmen für die sichere Fahrt, sowie der litauischen Reiseleiterin, die an allen Tagen die Kirch-Gönser Gruppe betreute, ebenso allen Reiseteilnehmern, besonders der Jugend für ihr vorbildliches Verhalten und Auftreten.

Litauen war das Ziel des Kirch-Gönser Musikzuges. Das Bild zeigt die Reisegruppe in Klaipeda (Mernel) vor dem Simon-Dach-Brunnen.
Quelle: Butzbacher Zeitung vom 23. Mai 1995
Bild: Musikzug Kirch-Göns